Montag, 1. Februar 2010

Comicfestival Angouleme 2010

Reisen im Winter ist voller Tücken. Unser Flugzeug nach Paris mußte vor dem Abflug erst aufwändig enteist werden, deshalb versäumten Kai Pfeiffer und ich den Anschlußzug nach Angouleme. Wenigstens konnte man die Tickets für den finanzschonend früh gebuchten TGV innerhalb einer Stunde nach Abfahrt des Zuges umtauschen. Wir hetzten zum Fahrkartenschalter und erfuhren "Ja, sie können noch umtauschen, aber das Ticket kostet jetzt 90 Euro mehr". "Haben wir eine andere Wahl?" fragten wir seufzend. Die kaugummikauende Schalterdame überlegte ein wenig, rechnete uns vor "Sie könnten eventuell nach Paris reinfahren, und von dort ... inclusive 35% Ermäßigung wegen unserer Festivalpässe usw." Aber auch diese Möglichkeit war teurer, also entschieden wir: "Nein, wir tauschen nur die Tickets für den TGV." Die Dame nickte freundlich, tippte in ihren Computer, schaute zu uns auf und sage: "Tut mir leid, die Möglichkeit Ihr Ticket umzutauschen ist vor einer Sekunde verfallen." Der Computer hat gesprochen. Das neue Ticket für uns beide kostete 160 Euro.
Am Comicfestival schlug dieses Jahr die Finanzkrise durch, die Verkäufe gingen im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurück. Als Käufer merkte man es an der glücklichen Überaschung der Verlagsmitarbeiter, wenn man ein Buch erwerben wollte. Als Zeichnerin wunderte ich mich über die spärlichen Verkäufe meines Buches "Airpussy", das in Berlin recht leichtfüssig die Ladentheken überquert. Es ist dieses Jahr beim belgischen Verlag L’employé du Moi erschienen:


Dieses Foto zeigt den Autor Philippe Vanderheyden am frühen Morgen am Verlagsstand von L’employé du Moi. Phillippes Hauptbeschäftigung auf dem Festival war es, für die neugründete Radioshow des Verlags Interviews zu führen. Phillipe war sehr nett zu uns, aber er gab auf subtile Art zu erkennen, wo seine Prioritäten lagen. Zwei Beispiele mögen diesen Eindruck illustrieren: Kai und ich frühstückten im Hotel de Ville (Autoren und Festivalmitarbeiter bekommen dort einen Gratiskaffee), als sich Joe Sacco zu uns setzte. Joe war deutlich überarbeitet, sein neues Buch "Footnotes in Gaza" war zeitgleich mit der amerikanischen Ausgabe auf französisch erschienen, Joe wurde ständig umlagert von Journalisten, die Werbung für den Comic war auf dem Festival allgegenwärtig. Sein Lächeln wirkte schon ein wenig eingefroren. Während er bei uns saß und endlich das Grinsen abstellen konnte, schlichen Philippe und sein Tonmann näher. Sie wisperten mir ehrfurchtsvoll ins Ohr: "You think, you can ask Joe Sacco to do an Interview with us?" Joe seufzte tief, sehr tief und floh.

Der kleine Mann in der Lederjacke, der gerade aus dem Fenster schaut und Schneeflocken betrachtet, ist Joe Sacco, im Vordergrund sieht man Christian Gasser mit einem finnischen Kollegen.

Nachts traf man sich traditionsgemäß im Chat Noir, hier ein Foto von Sacha Goerg, Hauptbetreiber und Künstler des Verlags L’employé du Moi
Der Verlag, der eigentlich eher ein Künstlerkollektiv ist, hatte ein kleines Haus außerhalb von Angouleme gemietet, zu dem wir alle spätnachts mit einem Kleinbus fuhren. So eine Gruppe zur gemeinsamen Abfahrt zu versammeln ist naturgemäß eine Geduldsprobe. Sonntagmorgen weit nach Mitternacht waren wir endlich zum Wagen aufgebrochen, als jemand rief: "Wo ist Philippe?" Phillipe war verschwunden, die Gruppe löste sich wieder auf, um Philippe zu suchen, Kai, Bertrand und ich warteten an der Strassenecke und meditierten über den warmen Nebelschwaden, die aus unseren Mündern stiegen. Wir warteten sehr lange. Als Philippe endlich auftauchte, verkündete er glücklich, er hätte einen französischen Schauspieler gesehen, einen sehr berühmten (ich kannte ihn nicht, aber was heißt das schon), und unbedingt in Kontakt treten müssen. "What did you talk to him?" fragt ich. "We didn't have a special topic, we talked about this and that, about cinema, about comics ..." Ich antwortete "I hope for you, that you feel enlightend now from your small talk with this holy person."
Unnötig zu erwähnen, daß er kein Interesse hatte, ein Interview mit uns zu führen, wer waren wir schon. Mein Buch verkaufte sich schleppend. Ein Magazin, an dem ich beteiligt war, "Spring 06" war immerhin nominiert für den "Fanzinepreis" des Festivals, die Selection BD alternative, aber diese Nominierung wurde nirgends auf dem Festival bekannt gegeben, während die 50 anderen nominierten Bücher in einem eigenen Zelt präsentiert wurden. Ich schlenderte durch eines der Zelte, als ein Windstoß einen Aufsteller umwarf, genau vor meine Füsse. Guterzogen hob ich ihn auf, und entdeckte darauf ein vertrautes Bild, das Titelblatt der letzten Ausgabe von Spring! Barbara Yelin hatte das Heft eingereicht.
Ich traf sie einen halben Tag später signierend am Stand ihres Verlags Editions de l'An2. "Bist Du am Sonntag noch da, um den Preis entgegen zu nehmen?" fragte ich sie. "Welcher Preis?" Barbara wußte nichts von der Nominierung, niemand hatte sie benachrichtet. Auch sie reiste Sonntag mittags ab und die Gala fand erst Sonntag abend statt. Gewonnen hat ohnehin jemand anders.

Einen Preis gewonnen hat auch Jens Harder mit dem ersten Band seines Mammutprojektes "Alpha". Nach Fertigstellung wird es nichts weniger illustrieren, als die Geschichte der Welt. Aus persönlichen Gründen bin ich keine Freundin des Künstlers, aber diese Preisentscheidung hat mich doch gefreut, ja, ich war sogar ein wenig stolz auf ihn. Wie wenn Österreich die Fussballweltmeisterschaft gewinnen würde, und selbst fussballdesinteressierte Österreicher sich mitfreuen. Es ist übrigens ähnlich unwahrscheinlich, daß eine österreichische Mannschaft zur Fussballweltmeisterschaft zugelassen wird, wie daß ein deutscher Zeichner in der Grande Comic Nation Frankreich Preise gewinnt.

Hier sitzen Kai und ich mit Kristiina Kolemainen beim Abendessen. Kristiina ist als comicbegeisterte ältere Frau ein Unikum. Sie leitet die Comicbibliothek in Stockholm und organisiert dort das jährliche Comicfestival. Anfang 2009 wurde bei ihr Krebs diagnostiziert, der Arzt empfahl dringendst eine sofortige Entfernung des Tumors. Kristiina sagte nur:"Völlig unmöglich! Nächste Woche fahre ich zum Comicfestival nach Angouleme, die Operation muß warten". "I have to visit the festival, I cannot do my work without visiting Angouleme" erklärte sie mir, worauf ich antwortete: "You cannot do your work, when you are dead too." Erst nach ihrer Rückkehr durfte der Arzt den 3,8 Kilo schweren Tumor aus ihrer Niere schneiden, heute, ein Jahr später, ist sie vollständig gesundet, nicht mal einer Chemotherapie mußte sie sich unterziehen. Ich wiederum erkläre Kristiina zu meiner Heldin "This is what I call passion!!!"

Pakito Bolino in einem angepunkten Szenelokal anläßlich einer Vernissage von Le Dernier Cri und dem l'Association Magazin "Lapin".
Inmitten der Menge leicht angeknittert von 20 Jahren l'association: Verleger und Zeichner J.-C. Menu.

Diese drei gutaussehenden Männer sind Dash Shaw, Kai Pfeiffer und Frank Santoro, von allen Dreien haben wir Bücher zu Hause. Wir verstanden uns auf Anhieb. Dash kommentierte meine Graphic Novel "Heute ist der letzte Tag ..." mit den Worten: "Fantagraphics would take it in a second". Amerikaner sind ja immer gleich so überschwenglich. Aber seine Begeisterung schien ehrlich, denn er wollte das Buch unbedingt besitzen (obwohl er kein Deutsch versteht). Dank ihm habe ich meine ersten Dollars verdient, er wollte sich das Buch nicht schenken lassen. Ich sollte den 20-Dollarschein rahmen und übers Zeichenbrett hängen.
(Hier kann man seinen kurzen Festivalbericht nachlesen: http://comicscomicsmag.blogspot.com)

Am vorletzten Tag des Festivals habe ich Kai gebeten, auch mal ein Foto von mir zu schießen:
Ohnehin habe ich viel zu wenig fotographiert, die meisten anwesenden netten Kollegen und Comicaktivisten wurden hier nicht ins Bild gerückt, wie z.B. Mawil, Nicolas Mahler, Johanna Rojola, Andrea Bruno, Liliana Cupido, Hamed Eschrat, Manuele Fior, Alex Baladi, Marcos Farrajota, Fabienne Anthes, Sascha Hommer, Laureline Michon, Christian Maiwald, Hannes Ulrich, Dirk Rehm, Klaus Schikowski, Bodo Birk, Sabine Wittkowski, Lynn Kost, Gàsper Rus, Uli Oesterle, Martin Jurgeit ... und natürlich nicht zu vergessen all jene, die wir leider verpasst haben!
Und auf dem letzten Bild sieht man den Schaffner im TGV beim vergeblichen Versuch, panische Passagiere zu beruhigen. Der Zug stand 2 Stunden still, weil ein Störfall in der Stromversorgung das gesamte Streckennetz Frankreichs lahmgelegt hatte. Nicht alle Festivalbesucher hatten soviel Glück wie wir: wir erreichten unsere Anschlussflüge nach Hause in letzter Minute.
Nicolas Mahler durfte 370,- Euro für ein neues Flugticket drauflegen.

1 Kommentar: